22.8.2025 Zuggeschichten

22.8.2025 Zuggeschichten

Ich lese gerne Zuggeschichten, in denen es darum geht, wie der reisende Mensch während der Fahrt gefühlt und gelebt hat, manchmal auch, wie er überlebt hat. Ich reiste mit der deutschen Bahn vom ländlichen Bayern über München nach Berlin. Als erstes nahm ich einen anderen, als den gebuchten Regionalzug und gewann dadurch 45 Minuten Urlaubszeit vor Ort und verkürzte die Wartezeit auf den ICE in München um 1 Stunde. Vermutlich hatte ich diesen besseren Regionalzug beim Buchen einfach übersehen. Nun denn die DB-APP verkündete mir für den ursprünglichen Regio in regelmäßigen Abständen, er wäre pünktlich, leicht verspätet, mehr verspätet, es summierte sich auf 37 Minuten. Das überschnitt sich irgendwann mit den Benachrichtigungen des besseren Regios, der tadellos pünktlich abfuhr und ankam. Tränenreicher Abschied am Bahnhof, festes Drücken und Vorfreude auf einen nächsten Besuch.
In München angekommen waren wir kurz irritiert, hielt der Regio doch ganz hinten am Gleis des Sackbahnhofs, wir reihten uns in die kofferschiebende und -ziehende Kette ein und sahen ziemlich schnell, dass unser ICE bereits am Gleis stand. Wir fanden unseren Waggon 23, setzten uns auf die reservierten Plätze. Ein Vierer mit Tisch, einen Platz belegte bereits eine Schweizerin, die mit zwei Handys und Laptop viel berufliches zu erledigen schien. Abfahrt in 20 Minuten.

Fliesenwand mit Kreidezeichnungen von Katze, Hahn, zwei Hunde


Wir richteten uns ein und machten Brotzeit, unterdes trudelten immer mehr Fahrgäste ein. Dann wollten die ersten unsere Plätze haben. Kurze Irritation, es schien als wären die Reservierungen doppelt verkauft worden. Wir glichen unsere Reservierung ab und blieben sitzen. Kurz vor Abfahrt kamen die nächsten und wollten unsere Plätze haben. Ergo dreifach reserviert. Die Damen regten sich mehr auf, wir blieben jedoch stoisch sitzen. Sie setzten sich unentspannt auf Plätze, von denen sie andere Personen verscheucht hatten. Den vorbeigehenden Bahnbistrochef ließen sie gar nicht mehr aus ihren Fängen, der arme Mann wollte jedoch nur sein Bistro öffnen und hatte mit Reservierungen nichts am Hut. Als ein echter Zugbegleiter kam, wurde das Problem behandelt. Er versprach, sich um freie Plätze zu kümmern. Entschuldigte sich, in dieser Woche passierte das dauernd und immer in diesem Waggon. Mein Kindelein meinte, das macht doch ein Computer, der wäre falsch programmiert. Mir schien, als würden die Reservierungen um uns herum nicht genutzt. Hinter uns die Sitzreihe blieb frei, obwohl reserviert dran stand.
Ca 30 Minuten später wurden die Damen in Waggon 21 mit vielen freien Plätzen umgesetzt. Wir blieben bei der Schweizerin und etlichen Kleinkindfamilien im Waggon 23. Einige Male purzelten die jüngsten beim Spielen von Sitzen, brüllten, tapsten unendliche Runden barfuß durch die Gänge, die etwas älteren sahnten im Bistro die Kleiner-ICE Geschenktüten ab. Im Kleinkindabteil nebenan war niemand!
Ich las mein Buch von Emilia Hart weiter, nach einem Viertel las ich den Schluss, ich musste wissen, wie das alles zusammenhängt, dann den Rest des Buches in einem Zug durch. Ich bin überrascht, wie gut es mir gefiel.
Mir gelang, was noch nie gelungen war, der Komfort Check-in. Infolgedessen wurden wir von Zugbegleiterinnen bei der Kontrolle ignoriert.
Irgendwann gegen 14.30 Uhr holte ich mir einen Kaffee im Bistro, als ich dort ankam, bemerkte ich leicht gekippte Stimmung, ein winziger Aufruhr. Der Bistrochef nahm mit abgelenkten Blicken meine Bestellung entgegen. Dann hörte ich eine Durchsage: „Sehr geehrte Fahrgäste, wenn sich im Zug ein Arzt oder Sanitäter befindet möge dieser sofort bitte in Wagen 24 kommen.“ Ich schaute, ich dachte, ups ich bin in Wagen 24. Dann sah ich einen blutigen Lappen, den der Chef gerade vom Tresen verschwinden ließ, bevor er meinen Kaffee kassierte. Ein Mann, der leicht alkoholisiert (schwankt etwas, nuschelt) wirkte, kam atemlos angerannt, ein Sanitäter! Dann erschien eine Dame in weiß, eine Intensivschwester. Der Mann wurde weggeschickt, der Erstehilfekasten präsentiert. Die Mitarbeiterin hatte sich beim Brotschneiden in die Hand geschnitten, sie stand aber noch. Die Intensivschwester sollte entscheiden, ob sofort der Notarzt gebraucht wird oder nicht. Desinfektion gab es nicht, ein Druckverband wurde flink gemacht, ein Kühlpack drauf gelegt. Währenddessen bekam ich den Kaffee und habe im ups Moment noch Päckchen Erdnüsse dazugekauft.
Die Patientin wurde sofort vom Dienst befreit, musste einen Unfallbericht ausfüllen, sollte sich die Tetanusimpfung zu Hause holen und zum Arzt gehen. Ich wartete noch, bis der Gang wieder frei ist, die Intensivschwester einen Gratiskaffe und anderes bekommen hat und erzähle die Geschichte den anderen am Platz. Das Kindelein hatte wegen Kopfhörern nichts mitbekommen von der Durchsage, die Schweizerin sprach sofort über Arbeitsschutz. Ich teilte die Erdnüsse und wartete, dass der Kaffee abkühlte.

Dann kamen einige Tunnel auf der Strecke. In jedem Tunnel musste Mitreisende ihre Aktivitäten unterbrechen wegen kein Empfang, insbesondere weil ihr Anschlusszug gefährdet schien, war sie genervt. Höhe Ingolstadt gibt es zur Zeit Bauarbeiten, wegen derer wir ca. 10 Minuten Verspätung hatten. Sie regte sich auf, das wäre ja alles längst technisch möglich, in der Schweiz im Bergmassiv würde man ja auch immer guten Empfang haben. Ich verteidigte mich kurz, dann blieb ich gelassen, ist halt so. Auf Reisen funktionieren die Dinge eben anders und oft unerwartet.
Ankunft am schweizerischen Umstieg: 3 Minuten Verspätung, das passte, freundliche Verabschiedung. In Berlin waren wir pünktlich. Selbst die S-Bahn fuhr pünktlich.

Bahnsteig, rechts ein ICE

Zuhause angekommen brachte ich Bewegung in die Familie mit auspacken, lüften, gießen, telefonieren, Wäsche einschalten. Einkaufen gehen, Essen machen, essen, Postkarten schreiben. Sage und schreibe 1 Postkarte ist diese Woche erst bei mir angekommen. Das ist eine magere Ausbeute, dafür ist es eine sehr hübsche mit viel Text. Und es sind einige von meinen geschriebenen Karten beim Empfänger eingetroffen, hurra!


Wäsche aufhängen, Schlafen gehen. Sehr müde war ich dann doch. In meinem eigenen Bett schlafen fühlte sich wundervoll an.
Am nächsten Morgen erwache ich von einem Traum, in dem ich schreiend treppauf und treppab gelaufen bin auf der Suche nach dem Chef, denn der Geheimplan hat sich geändert, wie mir zwei in pinkschwarz gekleidete Damen verraten haben. Ich müsse es unbedingt sofort dem Chef sagen, sonst wäre die Mission gefährdet. Ich beschließe dann aufzuwachen, nachdem ich im Traum festgestellt habe, Moment mal, eigentlich kann ich gar nicht so oft Treppen rauf und runter rennen und dabei einen Namen schreien. Und Moment, wenn das so geheim und wichtig ist, weshalb wissen dann Damen der Telekom darüber Bescheid und warum schreie ich dann so laut rum? Das ist sinnlos und viel zu anstrengend. Von der Absurdität der Situation sehr verwundert, bin ich 6.31 Uhr wach.

Briefkasten mit Stickern gegen Rassismus
3 Ansichtskarten im Fächer gehalten vor einem gelben Briefkasten

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